Social Media – Folge oder Ursache von Depressionen?

Vermutlich fühlen wir uns alle ertappt, wenn uns mal wieder empfohlen wird unsere Bildschirmzeit zum Wohle der mentalen Gesundheit einzuschränken. Ob in der Bahn auf dem Weg zu Arbeit, beim Essen in der Mittagspause oder abends vor dem Schlafen gehen – die Deutschen verbringen täglich rund dreieinhalb Stunden auf Social Media. Dreieinhalb Stunden in einer Welt voller Bilder von den schönsten Orten der Welt, trainiertesten Körpern und aufregendsten Unternehmungen. Da kann der Vergleich mit der eigenen Person und Lebenssituation schon mal für Niedergeschlagenheit und deprimierte Stimmung sorgen. Doch warum ist das so und was können wir tun damit es gar nicht erst so weit kommt?

Social Media – Suchtpotenzial to go

Die sozialen Medien sind schnelllebig und stetig im Wandel. Die Angst etwas zu verpassen und nicht am Puls der Zeit zu sein steigt immer weiter an – und damit auch die Nutzungsdauer. In Deutschland sind rund 90 Prozent der über 14 jährigen regelmäßig auf Social Media aktiv. Gerade Menschen unter dreißig verbringen besonders viel Zeit im Netz. Beliebt sind dabei die Plattformen Facebook, Instagram und Youtube. Von Fitness, Mode oder Reisen, über Tipps zur Selbstverwirklichung und finanziellem Erfolg, die Bandbreite der Inhalte scheint grenzenlos. In Millionen täglich neu erscheinenden Videos, Storys, Reels und Bildern ist für jeden Geschmack etwas dabei. Kein Wunder, dass es bei der Auswahl so schwierig ist sich dem ganzen nicht hinzugeben und in der Social-Media-Blase zu versacken.

Negative Effekte auf unsere Psyche

Die enorme Bedeutung die Social Media in unserem Leben bereits einnimmt lässt vermuten, dass es so einige Faktoren gibt, die unserer psychischen Gesundheit schaden können:

Der soziale Vergleich: Wir suchen den Vergleich mit andern um uns selber besser einschätzen zu können. Das ist grundsätzlich auch nicht schlecht, jedoch gerät hierbei schnell in Vergessenheit, dass die sozialen Medien einen Filter auf die Realität legen. Die ständige Konfrontation mit makellosen Körpern und grenzenlosem Erfolg kann zu Selbstzweifeln und einer verzerrten Selbstwahrnehmung sowie erhöhtem Leistungsdruck führen. Jedem, der auf Social Media aktiv ist, steht inzwischen eine enorme Menge an Vergleichspersonen zur Verfügung. Es können nicht mehr nur die eigene Familie, die Freunde und Arbeitskollegen verfolgt werden, auch Prominente und Influencer dienen als Vergleichsmaßstab.

Der Zeitaufwand: Wer ist noch nie vor dem Bildschirm versackt? Der Algorithmus lädt uns ein, ein Video nach dem nächsten zu schauen und unseren Offline-Ressourcen immer weniger Raum zu lassen. Denn umso mehr Zeit online verbracht wird, desto weniger bleibt für andere Aktivitäten wie Sport und soziale Kontakt im realen Leben. Es kann sogar zum Verlust von Interesse an den bisherigen Tätigkeiten kommen.

Die Reizüberflutung: Die enorme Flut an Informationen der sozialen Medien überfordert unser Gehirn schnell, denn es besitzt nur eine begrenzte Kapazität für neue Informationen. Besonders stimulierend wirken hierbei audiovisuelle Reize.

Die Sucht nach Likes: Wenn unsere Beiträge gelikt oder geteilt werden und positive Kommentare erhalten schüttet unser Körper Glückshormone aus. Gerade wenn wir im realen Leben wenig andere Quellen positiver Erlebnisse haben, können diese Glückgefühle schnell zur Sucht werden. Nicht selten kommt es zu einem Kontrollverlust über die Internetnutzung und es wird immer mehr Zeit und Energie in das Ringen um Anerkennung dort investiert. Wie bei vielen Süchten entwickelt sich mit der Zeit eine gewisse Toleranz, sodass immer mehr konsumiert werden muss und sogar Entzugserscheinungen auftreten können.

Die Social-Media-Depression

Es wird deutlich, dass die Welt der Medien viele Faktoren besitzt, die einen negativen Einfluss auf unsere Psyche haben und die Entwicklung von psychischen Erkrankungen begünstigen können. Eine sehr häufig mit Social Media verknüpfte Krankheit ist die Depression. Sie äußert sich primär in folgenden Symptomen:

  • Gedrückte Stimmung
  • Antriebsmangel
  • Interessenverlust
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Gefühle von Wertlosigkeit
  • Schlafstörungen

In schlimmen Fällen kann es bis hin zu selbstverletzendem Verhalten, Suizidgedanken oder –versuchen kommen. Auch körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Muskelverspannungen und Appetitstörungen können auf eine Depression hinweisen.

Was sagt die Forschung zu Social Media und Depressionen?

Schon länger ist der Zusammenhang zwischen der Nutzung von Social Media und Depressionen im Fokus der Forschung. Die bereits genannten Kriterien begünstigen die Entstehung einer solchen Erkrankung enorm. Die meisten Studien sind sich einig, dass dabei die Häufigkeit und Länge der Nutzung der sozialen Medien mit dem Risiko für eine Depression einhergeht. Sie rücken zudem die Effekte der sozialen Vergleiche mit anderen Personen in den Fokus. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Nutzer insbesondere Informationen konsumieren, die zu ihrer Stimmung passen. Das impliziert, dass bei einer bereits gedrückten Stimmung eher Inhalte konsumiert werden, die dieser entsprechen und damit in eine Abwärtsspirale führen.

Eine hohe Anzahl an depressiven Symptomen weisen Personen auf, die sehr häufig Content in den sozialen Medien teilen und mit vielen anderen Nutzern interagieren. Trotz der hoch frequentierten Kommunikation zeigte sich Einsamkeit, da bei diesen Personen meist wenig Zeit in Offline-Aktivitäten investiert wird. Auch hat Social Media einen Einfluss auf das Schlafverhalten, denn oftmals liegen die Nutzer mit dem Laptop oder Handy im Bett, welches blaues Licht ausstrahlt und das Hormon Melatonin unterdrückt und zu schlechterem Einschlafen führt. Schlechter oder mangelnder Schlaf sind nicht nur ein Symptom von Depressionen, sondern auch ein Risikofaktor für die Gesundheit. Eine weitere wichtige Bedeutung besitzt das Thema Cyber Mobbing, welches in den letzten Jahren enorm an Relevanz gewonnen hat. Negative Kommentare, Beleidigungen oder das Verbreiten von peinlichen oder verletzenden Bildern wird immer noch zu wenig von den Unternehmen unterbunden.

Wichtig: Sieben von zehn Jugendlichen berichten schon einmal Opfer von Cyber-Mobbing geworden zu sein. Betroffene neigen zu schlechteren Schulabschlüssen, Depressionen, Angstzuständen, Vereinsamung und Essstörungen.

Exkurs: Die sozialen Medien als Ort der Selbsthilfe und Unterstützung

Tatsächlich hat die Forschung bisher mehr Studien zu den risikobehafteten Eigenschaften von Social Media in Bezug auf die psychische Gesundheit durchgeführt. Jedoch lohnt es sich ebenfalls den Blick etwas zu weiten und einige Chancen der sozialen Medien zu beleuchten.

Social Media steht für die Möglichkeit jederzeit abrufbarer, weltweiter Vernetzung und Informationsbeschaffung. Es gibt zahlreiche Beispiele für Personen, die berichten, dass ihnen genau diese Möglichkeiten bei der Bewältigung ihrer Depressionen geholfen haben. Eine Geschichte eines solchen Betroffenen, die 2015 viral ging, ist die von Uwe Hauck. Der Familienvater aus Baden-Württemberg erfand den Hashtag #ausderklapse auf Twitter und berichtete damit von seinen Depressionen, seinem Suizidversuch, dem folgenden Alltag in der Klinik und dem Genesungsprozess. Ihm tat gerade die Kommunikation über die sozialen Medien gut, weil der Kontakt zu Freunden und Familie in dieser Zeit für ihn schwer möglich war. Die Online-Community gab ihm viel positives Feedback und ermutigte ihn. Er lernte unzählige andere Betroffene kennen und bekam die Chance aus ihren Erfahrungen zu lernen. Auch können über Social Media Gleichgesinnte für die eigenen Interessen und Überzeugungen gefunden und so die eigene Identität gefunden und ausgedrückt werden.

Social Media Depressionen aktiv entgegenwirken

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Social Media viele Risiken, jedoch auch ein paar Chancen bietet. Sowohl bei bereits erkrankten Personen kann der häufige, aktive und intensive Konsum eine Depression verschlimmern, die Nutzung kann das ganze Thema aber auch erst hervorrufen. Wie so oft gilt es individuell zu schauen, welches Maß für einen gesund ist und inwiefern die Nutzung die eigene Gesundheit unterstützen kann. Wenn man das Gefühl hat dies nicht selbstständig regulieren zu können, ist es immer ratsam einen Experten bzw. Therapeuten zu Rate zu ziehen.

Anbei finden sich noch einige Strategien, die kurzfristig unterstützen können, wenn das Gefühl entsteht, dass Social Media einen negativen Einfluss auf die Psyche besitzt:

1. Bestehende Ressourcen nutzen: Auch wenn die geteilten Inhalte keine große Aufmerksamkeit auf Social Media genießen, gibt es in der realen Welt meist auch noch Freunde und Familie, die diese einem geben können.

2. Rationalisieren: Obwohl das eigene Leben im Gegensatz zur glitzernden Social Media Welt so banal scheinen mag, es ist wichtig sich bewusst zu machen: Die wenigsten Menschen teilen schlimme Ereignisse wie Trennungen, Jobverluste oder Konflikte.

3. Den richtigen Inhalten folgen: Neben den vielen makellos erscheinenden Account existieren inzwischen viele andere, die sich für Authentizität einsetzen und ein wesentlich realistischeres Bild präsentieren.

3. Rahmenbedingungen festlegen: Es ist wichtig zu reflektieren, ob die tägliche Nutzungszeit in dem Maße gut tut und zu überlegen in welchen Tageszeiten und Situationen eine Nutzung sinnvoll ist. Genauso ist es von Bedeutung sich vor Cybermobbing und negativen Einflüssen zu schützen und die Sicherheitseinstellungen demnach zu konfigurieren.

4. Auszeiten nehmen: Gerade wenn man merkt, dass Social Media einem nicht gut tun, ist es höchste Zeit die Apps für eine Zeit nicht zu nutzen oder gar vom Gerät zu löschen. Es ist ein spannendes Selbstexperiment was darauf hin passiert. Vielleicht kommen negative Gefühle hoch? Es ist wichtig sich zu fragen: Was brauche ich gerade wirklich? Eine Umarmung, eine Auszeit, einen Veränderung…?

Quellenangaben
  • Deutscher Ärzteverlag GmbH: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/129558/Soziale-Medien-mit-Depressionen-bei-Erwachsenen-assoziiert. Abruf am 11.07.2022.
  • Stiftung Deutsche Depressionshilfe: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/files/cms/Buendnisse/Dresden/News/2019/uwe_hauck.pdf. Abruf am 12.07.2022.
  • KONTOR4 GmbH: https://www.kontor4.de/beitrag/aktuelle-social-media-nutzerzahlen.html. Abruf am 10.07.2022.
  • Wolfersdorf, Manfred: Depressionen verstehen und bewältigen. Berlin, 2011.

Kategorien: Depressionen

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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