Kaufsucht: der Stille Kampf gegen die Konsumfalle

In unserer heutigen Gesellschaft sind wir von einer Vielzahl von Produkten und Konsumangeboten umgeben. Das Einkaufen ist nicht mehr nur eine Notwendigkeit, sondern für viele Menschen zu einer Art Freizeitbeschäftigung geworden. Doch was passiert, wenn das Bedürfnis zu kaufen immer stärker wird und außer Kontrolle gerät? Die Rede ist von Kaufsucht, einer problematischen Verhaltensweise, die immer mehr Menschen betrifft.

Die unkontrollierbare Jagd nach dem nächsten Einkaufserlebnis

Kaufsucht, auch als Oniomanie bezeichnet, wird in der Psychologie nicht als eigenständige Diagnose anerkannt, sondern fällt unter das Spektrum der impulsiven Störungen. Es handelt sich dabei um eine Form der Sucht, bei der Menschen ein zwanghaftes Verlangen verspüren Dinge zu erwerben. Konsum wird dabei zum zentralen Lebensinhalt und beeinflusst das alltägliche Leben negativ. Das Verlangen zu kaufen steht oft nicht im Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen und kompensiert unbewusst andere unerfüllte Bedürfnisse.

Interessant: Das Störungsbild kommt in allen Einkommens- und Altersklassen vor. Unterschiede gibt es lediglich im Hinblick auf das Geschlecht, da Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Ebenfalls kann ein geschlechtsstereotypes Einkaufen beobachtet werden, da Frauen eher Kosmetik, Kleidung und   Dekoartikel kaufen, Männer hingegen am meisten Technik.

Normales oder schon pathologisches Kaufen?

Um diese Frage zu beantworten gilt es die folgenden Kriterien für eine Oniomanie zu betrachten:

  • Wiederholte Schwierigkeiten Kaufimpulse zu kontrollieren
  • Gekauft wird aus emotionalen Gründen wie Trauer oder Langeweile
  • Die gedankliche Beschäftigung mit Käufen oder Konsumgütern nimmt viel Zeit in Anspruch
  • Es wird deutlich mehr erworben, als tatsächlich benötigt oder verwendet wird
  • Überflüssige gekaufte Ware wird oft vergessen, verschenkt oder sogar entsorgt
  • Der Kaufprozess selbst und das Erleben des Kaufrauschs stehen im Vordergrund, während das Produkt oder dessen Nutzung in den Hintergrund treten
  • Negative Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche, wie zum Beispiel die finanzielle Situation, zwischenmenschliche Beziehungen, berufliche Leistungsfähigkeit oder die psychische Gesundheit
  • Oft wird das Kaufverhalten versucht zu verbergen oder zu rechtfertigen und es werden Lügen oder Ausreden erfunden

Vielfältige Ausprägungen derselben Erkrankung

Der Verlauf einer Kaufsucht kann sehr unterschiedlich sein. Bei einigen Betroffenen besteht kontinuierlich ein Verlangen Gegenstände zu erwerben, andere berichten auch von symptomfreien Phasen. WAS und WO konkret gekauft wird ist ebenfalls sehr individuell. Einige Personen präferieren, oft aus Scham, ausschließlich den Onlinehandel, andere kaufen lieber im Laden vor Ort. Zudem kann gezielt nach reduzierten Produkten oder teuren, exklusiven Gegenständen gesucht werden. Es gibt auch Betroffene, die in erster Linie Geschenke für ihr Umfeld erwerben, um ihr Verhalten vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen.

Ursächliche Faktoren

Die Ursachen für eine Kaufsucht können vielfältig sein und sind oft das Ergebnis einer Kombination aus verschiedenen Aspekten:

Psychologische Faktoren: Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale können zur Entstehung von Kaufsucht beitragen. Menschen, die unter geringem Selbstwertgefühl, Unsicherheit, Perfektionismus oder Impulsivität leiden, sind möglicherweise anfälliger zu erkranken.

Emotionale Faktoren: Kaufsucht kann als eine Form der Emotionsbewältigung dienen. Personen, die Schwierigkeiten haben mit negativen Gefühlen wie Stress, Angst oder Langeweile umzugehen, können dazu neigen diese durch übermäßiges Einkaufen zu kompensieren und vorübergehend zu lindern.

Soziale Faktoren: Der soziale Druck und gesellschaftliche Normen können eine Rolle bei der Entwicklung von Kaufsucht spielen. Der Wunsch nach sozialer Anerkennung, der Einfluss von Werbung und die ständige Verfügbarkeit von Konsumgütern können das Verlangen zu kaufen verstärken.

Frühere Erfahrungen: Frühere Erfahrungen, wie zum Beispiel traumatische Ereignisse, finanzielle Probleme oder Kindheitserlebnisse, können die Entstehung von Kaufsucht begünstigen. Einkaufserlebnisse lösen oft positive Erinnerungen und Belohnungsmechanismen im Gehirn aus, was wiederum zu einem Verstärkungseffekt führen kann.

Genetische und biologische Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass auch genetische und biologische Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung von Kaufsucht spielen können. Dabei wird vermutet, dass eine erhöhte Anfälligkeit für impulsive Verhaltensweisen und Suchterkrankungen besteht.

Neben den genannten Aspekten besteht auch ein Zusammenhang mit einigen anderen psychischen Störungsbildern wie der Depression oder der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Es kann nicht genau festgestellt werden, welches Störungsbild zuerst bestand, jedoch ist sicher, dass für die Entstehung einer Kaufsucht eine gewisse psychische Vulnerabilität vorhanden sein muss.

Konsequenzen des exzessiven Konsums – Ein Teufelskreis

Eine der offensichtlichsten Konsequenzen von Kaufsucht sind finanzielle Schwierigkeiten. Betroffene haben oft Probleme ihre Rechnungen zu bezahlen und leben über ihre Verhältnisse. Besonders problematisch wird es, wenn ein Haushalt mit weiteren Personen geführt wird und diese ebenfalls unter finanziellen Einbußen für andere notwendige Dinge leiden müssen oder sogar auf ihren Namen gekauft wird. Genau das führt nicht selten zu Beziehungsproblemen, da unter Umständen das Vertrauen anderer erschüttert ist. Auch soziale Isolation kann durch das Verheimlichen des Kaufverhaltens oder der vielen Zeit, die alleine mit dem Einkaufen verbracht wird, entstehen. Der eigentliche Teufelskreis der Kaufsucht beginnt jedoch, wenn sie eine erhebliche psychische Belastung in Form von Schuldgefühlen, Angstzuständen oder Depressionen mit sich bringt. Kurzfristig während dem Kauf können alle negativen Gefühle ausgeblendet werden, holen die Betroffenen danach jedoch umso schlimmer wieder ein. Weiterhin kann die intensive Beschäftigung mit dem Einkaufen und der Jagd nach dem nächsten Kaufrausch dazu führen, dass andere wichtige Aspekte des Lebens, wie der Beruf oder Pflichten als Elternteil, vernachlässigt werden.

Die richtige Behandlung

Die Behandlung von Kaufsucht erfordert in der Regel therapeutische Unterstützung. Die Verhaltenstherapie ist dabei die Methode der Wahl und kann helfen negative Denkmuster und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu verändern. Therapiesitzungen bieten einen sicheren Raum, um die tieferen Ursachen der Kaufsucht zu erforschen und gesündere Bewältigungsstrategien zu erlernen. Begleitend können auch weitere Maßnahmen ergriffen werden:

Selbsthilfegruppen

Der Beitritt einer Selbsthilfegruppe, die sich mit Kaufsucht oder allgemeinen Suchterkrankungen beschäftigt, kann eine wertvolle Unterstützung sein. Der Austausch mit anderen Betroffenen ermöglicht es Erfahrungen zu teilen, Ratschläge zu erhalten und sich gegenseitig zu motivieren.

Budgetplanung und Finanzmanagement

Das Erstellen eines realistischen Alltagsbudgets und das Implementieren eines effektiven Finanzmanagements können helfen, die finanziellen Auswirkungen der Kaufsucht einzudämmen. Durch die klare Aufstellung von Einnahmen, Ausgaben und Sparzielen wird eine bewusste Kontrolle über die Finanzen ermöglicht.

Neue Hobbys und Interessen

Es kann hilfreich sein neue Aktivitäten in den Alltag zu integrieren, die vom Konsum ablenken und eventuell sogar zugrundeliegende Bedürfnisse wie Einsamkeit oder Langeweile erfüllen. Solche Aktivitäten können beispielsweise Sport, kreative Projekte oder soziales Engagement sein.

Unterstützung des sozialen Umfelds

Das soziale Umfeld kann eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Kaufsucht spielen. Offene Kommunikation und Unterstützung von Freunden und Familie können den Genesungsprozess unterstützen. Es kann auch hilfreich sein, nahestehenden Personen zu erklären was Kaufsucht ist und wie sie sich auswirkt, um Verständnis und Unterstützung zu fördern.

Quellenangaben
  • AOK-Bundesverband GbR: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/kaufsucht-wenn-konsum-zur-krankheit-wird/#:~:text=Etwa%20f%C3%BCnf%20Prozent%20der%20deutschen,Verhalten%20%C3%A4u%C3%9Fert%2C%20ist%20sehr%20individuell, Abruf am 03.08.2023.
  • Müller, Astrid & Laskowski, Nora M.: Ratgeber Kaufsucht: Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen, 2022.
Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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