Zwischen Fürsorge und Selbstopfer: Die Schattenseite des Helfersyndroms

Ein tiefes Verlangen anderen Menschen zu helfen ist eine Eigenschaft, die sehr bewundert und geschätzt wird. Ohne helfende Hände im familiären Umkreis, in der Krankenpflege oder Sozialarbeit würde unsere Gesellschaft gar nicht funktionieren. Doch stellt sich die Frage: Kann Helfen auch schädlich sein?

Helfersyndrom: Eine Überblick

Die klare Antwort, ob Helfen auch Nachteile mit sich bringen kann ist: Ja! Ab dem Zeitpunkt, wo Personen auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse und ihres eigenen Wohlbefindens anderen Menschen helfen, handelt es sich um ein Helfersyndrom (auch als Messias-Komplex bekannt). Betroffene verspüren bei diesem psychologischen Phänomen einen übermäßigen Drang ihre Mitmenschen zu unterstützen und sehen es als ihre Pflicht ihre Probleme zu lösen, indem sie ihr Leid lindern. Charakteristisch für das Phänomen ist zudem, dass die Personen, denen geholfen wird, den Helfenden oft nicht mal nahe stehen oder sie direkt mit ihnen zu tun haben.

Auf der Suche nach den Ursachen

Die Gründe der Entstehung des Helfersyndroms können vielfältig und auf unterschiedliche persönliche, psychologische und soziale Faktoren zurückzuführen sein:

  • Niedriges Selbstwertgefühl: Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl neigen dazu ihre eigene Wertigkeit durch die Unterstützung anderer zu steigern.
  • Kindheitserfahrungen: Kinder, die früh gelernt haben, dass Hilfeleistung positiv bewertet wird, können dazu neigen dieses Verhalten beizubehalten. Auch das Aufwachsen mit Rollenmodellen, die selbstlos und selbstopfernd handeln, kann dazu führen das Kinder diese Verhaltensweisen übernehmen.
  • Emotionale Bedürfnisse: Das Helfersyndrom kann auch aus emotionalen Bedürfnissen entstehen, wie dem Wunsch gebraucht zu werden oder eine Schlüsselrolle in den Leben anderer zu spielen.
  • Kontrollbedürfnis: Ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle über Situationen und Menschen führt ebenfalls manchmal dazu, dass jemand übermäßig versucht das Wohl anderer zu steuern und zu beeinflussen.
  • Gesellschaftliche Erwartungen: Darüber hinaus können gesellschaftliche Erwartungen und kulturelle Normen das Helfersyndrom fördern. Menschen glauben in dem Fall, dass sie moralisch oder ethisch dazu verpflichtet sind anderen zu helfen.
  • Vermeidung eigener Probleme: Zuletzt ist es möglich, dass das Helfersyndrom als Mittel dient, um sich vor eigenen ungelösten Problemen oder schwierigen Emotionen zu schützen. Durch die Fokussierung auf die Probleme anderer werden die eigenen Herausforderungen vermieden.

Interessant:

Einige Psychologen argumentieren, dass die Neigung zu helfen und für andere zu sorgen evolutionär bedingt ist. In prähistorischen Gemeinschaften könnte die Zusammenarbeit und Hilfe für das Überleben der Gruppe entscheidend gewesen sein.

Wenn Hilfe zum Hindernis wird

An den genannten Ursachen des Helfersyndroms lässt sich bereits erkennen, dass Betroffene teils aus einer sehr problematischen Motivation heraus übermäßig viel Hilfe anbieten und diese zur Kompensation anderer Unzulänglichkeiten dient. Aus dem grenzenlosen Helfen resultieren folgend wieder verschiedene Probleme:

Selbstvernachlässigung

Durch das Stellen der Bedürfnisse anderer über die eigenen vernachlässigen Menschen mit einem Helfersyndrom ihre physische und mentale Gesundheit.

Erschöpfung und Burnout

Das ausgeprägte Bedürfnis Gutes zu tun birgt langfristig die Gefahr eines Burnouts, da der Helfende sich selbst kontinuierlich überfordert und nicht dafür sorgt, dass seine eigenen Ressourcen gestärkt werden.

Schuldgefühle

Helfende Personen neigen dazu übermäßige Verantwortung für die Lebensumstände anderer zu übernehmen. Dies kann zu Schuldgefühlen führen, wenn sie nicht in der Lage sind alle Probleme zu lösen oder das Glück anderer zu gewährleisten.

Beziehungskonflikte

In Beziehungen kann das Helfersyndrom zu Spannungen führen, insbesondere wenn der Helfende unrealistische Erwartungen hat und Enttäuschung erlebt, wenn die Hilfe nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt.

Abhängigkeitsverhältnisse

Übermäßiges Helfen kann zu ungesunden Abhängigkeitsverhältnissen führen, da die unterstützte Person möglicherweise nicht lernt ihre eigenen Probleme zu bewältigen.

Frust durch fehlende Anerkennung

Helfende Personen können Frustration erleben, wenn ihre Bemühungen nicht angemessen geschätzt oder sogar als selbstverständlich angesehen werden. Als Folge versuchen sie immer mehr zu unterstützen, was weiter ihre eigenen Ressourcen schwächt und zu einem Teufelskreis führt.

Gesunde Grenzen setzen

Eine gesunde Balance zwischen Fürsorge und Selbstschutz ist entscheidend, um langfristig (mental) gesund zu bleiben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Der erste Schritt für das Setzen gesunder Grenzen ist die Selbstreflexion. Wenn Sie sich oft dabei beobachten, dass Sie anderen permanent helfen, hinterfragen sie einmal ihre Motivation. Handeln Sie aus einem gesunden Impuls heraus oder stehen andere Bedürfnisse, wie der Wunsch nach Anerkennung, im Vordergrund? Wichtig zu wissen ist an der Stelle, dass es einen Unterschied zwischen Empathie und Übernahme gibt. Sie können einfühlsam sein und Mitgefühl zeigen, ohne die volle Verantwortung für die Probleme anderer zu tragen. Üben Sie im nächsten Schritt das klare und respektvolle Aussprechen von „Nein“. Es ist in Ordnung nicht jede Anfrage anzunehmen, besonders wenn sie die eigenen Ressourcen übersteigt. Im dem Zuge ist es ebenfalls wichtig klar zu kommunizieren welche Art von Hilfe Sie anbieten können und welche Erwartungen Sie haben. Wenn es möglich ist, können Aufgaben delegiert werden und die Verantwortung mit anderen geteilt werden. Identifizieren Sie in dem Zuge auch alternative Möglichkeiten zu helfen. Dies könnte beispielsweise sein andere zu ermutigen Selbsthilferessourcen zu nutzen. Um darüber hinaus Hilfe anbieten zu können ist es wichtig regelmäßige Zeiten für Selbstfürsorge und Erholung einzuplanen. Dies kann sowohl körperliche als auch emotionale Erholung umfassen. Wenn das Helfersyndrom dennoch Ihre Lebensqualität beeinträchtigt, kann die Hilfe eines Psychotherapeuten wertvoll sein. Ein externer Blick kann helfen schädliche Muster zu erkennen und Veränderungen anzustoßen.

Quellenangaben
  • Bierhoff, H. (2009). Psychologie prosozialen Verhaltens: Warum wir anderen helfen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
  • Ruffer, G. & Ruffer, H.(2019). Selbstbewusst NEIN sagen: Grenzen setzen – Grenzen achten. Junfermann Verlag, Paderborn.
  • Schmidbauer, W. (2007). Das Helfersyndrom: Hilfe für Helfer. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Hamburg.
  • Schmidbauer, W. (2002). Helfersyndrom und Burnout-Gefahr. Urban & Fischer, München.

Kategorien: Burnout Unkategorisiert

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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