Waschzwang – im ewigen Kampf gegen Viren und Bakterien

Desinfizieren Sie eine Türklinke bevor Sie diese anfassen? Wechseln Sie mehrmals am Tag ihre Kleidung? Waschen Sie ihre Hände 60-mal oder öfter am Tag, weil Sie das Gefühl haben, verunreinigt zu sein? Wenn Sie all diese Fragen mit JA beantworten, leiden Sie vermutlich unter einem Waschzwang…oder sind zumindest auf dem Weg dahin. Und damit wären Sie nicht alleine. Etwa eine Millionen Deutsche werden jeden Tag von Gedanken der Verunreinigung geplagt und fühlen sich gezwungen Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Die unerträgliche Angst vor Krankheit

Ein Waschzwang ist eine der häufigsten Ausprägungen einer Zwangsstörung. Betroffene leiden unter einer immensen Angst vor Bakterien, Verschmutzung und Ansteckung mit Krankheiten. Berührungen mit verschiedensten Gegenständen oder Personen werden tunlichst vermieden und erfordern nach einem Kontakt ein wiederholtes und ritualisiertes Waschen der Hände, des gesamten Körpers oder sogar der Kleidung. Wenn ein solches Ritual nicht strikt eingehalten wird, muss die gesamte Zwangshandlung häufig von vorne begonnen werden. Folgendes Fallbeispiel macht das Ausmaß der Beeinträchtigung deutlich:

Frau S. ist 36 Jahre alt und arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule. Schon seit ihrer Kindheit litt sie unter großer Angst vor der Ansteckung mit Krankheiten und pflegte eine sorgfältige Hygiene. 2020 gab es einen der ersten Coronafälle mit schwerem Verlauf an ihrer Arbeitsstätte. Seitdem haben sich ihre Symptome massiv verstärkt. „Anfangs ging ich noch mit einem extremen Ekel und mulmigen Gefühl zur Arbeit. Ich wusch mir zwischen jeder Schulstunde erst fünf Minuten, dann zehn Minuten und schließlich die ganze Pause lang die Hände.“ Innerhalb weniger Monate spitzte sich die Lage zu: Frau S. konnte aus Angst vor Keimen kaum noch mit der Bahn fahren, nichts mehr anfassen, vermied engen Kontakt zu Schülern sowie Kollegen, ging schlussendlich gar nicht mehr zu Arbeit und wusch sich täglich mehrere Stunden lang ihren gesamten Körper. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um eine mögliche Infektion und sie geriet in Panik, wenn das Waschen nicht möglich war. Frau S. war durchaus bewusst, dass ihre Ängste und ihr Handeln übertrieben waren, jedoch zog sie sich aus Scham immer weiter aus ihrem sozialen Umfeld zurück.

Ab wann ist Hygiene ein Zwang?

Der Übergang zwischen einer sorgfältigen Hygiene und einem Zwang sich zu waschen geschieht meist schleichend. Ein klinischer Waschzwang grenzt sich jedoch durch folgende Merkmale ab:

  • Wiederkehrende Gedanken an eine Verunreinigung, die Angst hervorruft
  • Diese Gedanken werden versucht zu unterdrücken oder mit Zwangshandlungen zu neutralisieren
  • Betroffene fühlen sich gezwungen auf die Gedanken zu reagieren und sich zu waschen
  • Die Handlungen sind übertrieben und gehen weit über eine sorgfältige Hygiene hinaus
  • Hoher Zeitaufwand von über einer Stunde am Tag
  • Betroffene nehmen ihre Gedanken und Handlungen als unangenehm und einschränkend wahr

Warum sich Betroffene ständig waschen müssen

Wie bei vielen psychischen Erkrankungen sind auch die Ursachen eines Waschzwangs sehr vielfältig:

Traumatische Erlebnisse

Traumatische Erlebnisse stellen den häufigsten Auslöser für einen Waschzwang dar. Insbesondere wenn Betroffene keine Unterstützung bei der Bewältigung des Erlebnisses erhalten, ist die Psyche häufig überfordert. Die Antwort darauf ist die Entwicklung eines Zwangs bzw. damit verbundene Rituale, die den Erkrankten wieder Halt und Sicherheit geben.

Erziehung

Wenn sich ein Kind von seinen Bezugspersonen nicht geliebt fühlt oder schlecht behandelt wird, kann eine Zwangsstörung, wie ein Waschzwang, entstehen. Auch hier geht es wieder darum Sicherheit zu erlangen. Ein Aufwachsen in einem dreckigen oder sauberen Haushalt muss dabei keinen Einfluss haben.

Prägende Erlebnisse

So ein Erlebnis kann wie bei Frau S. oben im Fallbeispiel einen direkten Zusammenhang mit einer Erkrankung haben oder aber auch eine außergewöhnliche Belastung durch den Tod eines Angehörigen oder eine Gewalttat sein. Gerade Menschen, die bereits unter Selbstwertproblemen und vielen Unsicherheiten leiden, versuchen häufig durch ihre Zwangssymptomatik wieder Kontrolle über die zu bewältigende Situation zu erlangen. Im Falle von Frau S. kommt ebenfalls noch die zu Beginn nicht einschätzbare Bedrohung durch ein neuartiges Virus hinzu.

Neurobiologische Faktoren

Betroffene von Zwängen besitzen in bestimmten Gehirnbereichen eine Überaktivität, welche zu einer fehlerhaften Kommunikation zwischen Frontalhirn und den tieferen Hirnstrukturen führt. Darüber hinaus konnte bei Patienten mit einem Waschzwang ein Mangel des Botenstoffs Serotonin gezeigt werden.  

Genetik

Verschiedene Studien belegen ein kumuliertes Auftreten von Zwangserkrankungen bei verwandten Personen. Besonders stark sind Kinder von zwangserkrankten Eltern und Zwillinge betroffen. Bei diesem Aspekt spielt jedoch sicherlich auch das Modelllernen von Zwängen eine große Rolle, was wiederum auf den Punkt der Erziehung gleichermaßen hinweist.

Mehr Betroffene durch die Corona Pandemie?

Seitdem es Corona gibt, ist häufiges Händewaschen und Desinfizieren Normalität geworden. Über zwei Jahre nach Pandemiebeginn existieren inzwischen auch verschiedenste Studien, die sich mit den Auswirkungen auf Zwangserkrankungen, wie den Waschzwang, beschäftigen. Vorab ist es wichtig zu erwähnen, dass eine solche Pandemie nicht zwingend zu einem Waschzwang führen muss, jedoch aber einen bereits bestehenden verstärken kann! Die Ergebnisse unterstreichen diese Aussage: Über ein Drittel der Studienteilnehmer berichteten eine Verschlechterung ihrer Zwänge, besonders gravierend war die Verschlechterung bei Personen mit einem Waschzwang.

Welche Folgen hat ein Waschzwang?

Wie bereits erwähnt, geht mit einem Waschzwang häufig eine Isolation aus Scham und Angst vor einer Infektion einher. Zudem nehmen die Waschrituale auch viel Zeit ein, was die Lebensqualität enorm einschränkt. Ebenfalls fällt es Betroffenen oft sehr schwer Hilfe anzunehmen. All diese Faktoren führen nicht selten zu Einsamkeit und Depressionen. Grundsätzlich hat die Erkrankung eine hohe Komorbidität mit folgenden weiteren Störungsbildern:

  • Panikstörungen
  • Soziale Phobien
  • Essstörungen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Posttraumatische Belastungsstörungen
  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen

Abgesehen von den genannten psychischen Belastungen birgt ein Waschzwang auch einige physische Langzeitfolgen. Für das Immunsystem ist es sehr wichtig regelmäßig mit Bakterien in Berührung zu kommen, damit es aktiv bleibt. Betroffene von einem Waschzwang sind meist so gut wie gar keinen Keimen ausgesetzt, was dazu führt, dass ihr Körper bei Kontakt mit harmlosen Keimen völlig überfordert ist. Darüber hinaus greift das häufige Waschen die Haut an. Betroffene haben nicht nur enorm trockene Haut, sondern auch oft blutige und entzündete Risse in ihr, wodurch wiederum Krankheitserreger in den Körper gelangen können. An dieser Stelle wird der Teufelskreis des Waschens deutlich.

Ein wichtiger Schritt: Hilfe annehmen!

Bei Waschzwängen, gerade in einem fortgeschritteneren Stadium und bei starker Isolation, ist es von großer Bedeutung sich professionelle Hilfe zu suchen. Das ist meist schon eine riesige Hürde für Betroffene, doch aus eigener Kraft lässt sich diese Krankheit nur selten besiegen. Häufig machen die oben genannten häufigen und vielfältigen Komorbiditäten auch einen stationären Aufenthalt notwendig.

Das Therapieverfahren der Wahl ist meist die Verhaltenstherapie. Ziel ist es den Auslöser für den Waschzwang zu finden und an ihm zu arbeiten. Hierbei wird der Patient mit seinen Ängsten konfrontiert und soll lernen, dass trotz des Kontaktes mit Bakterien nicht automatisch eine Erkrankung erfolgt. In dem Zuge kann klein angefangen werden, indem verschiedene Objekte berührt werden ohne sich danach die Hände zu waschen und die Angst mit dem Therapeuten gemeinsam ausgehalten wird. Sobald eine Konfrontationsübung erfolgreich gemeistert wurde, kann Schritt für Schritt die Intensität gesteigert werden und auch geübt werden das Haus wieder zu verlassen und damit in den Alltag zurückzufinden. Parallel ist es von Bedeutung, dass der Patient alternative Strategien erlernt, um mit seinem unerfüllten Bedürfnis nach Sicherheit umzugehen, damit die Zwangsgedanken und –handlungen losgelassen werden können.

Quellenangaben
  • Ambühl, Hansruedi: Zwangsstörungen – Integration psychodynamischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Perspektiven. Göttingen, 2017.
  • Jelinek, Lena et al.: Obsessive-compulsive disorder during COVID-19: Turning a problem into an opportunity? Journal of Anxiety Disorders, 2021. DOI: https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2020.102329
  • Teusch, Ludwig: Praxis der Personzentrierten Psychotherapie. Heidelberg, 2017.
  • Wittchen, Hans-Ulrich; Hoyer, Jürgen: Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg, 2011.

Kategorien: Zwangsstörungen

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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