Bedrängt, geschlagen, eingeschüchtert – Warum ein gewalttätiger Partner trotzdem nicht verlassen wird

Es klingt unglaublich wenn wir Geschichten über Beziehungen hören, wo ein Partner auf den anderen, teilweise über Jahre hinweg, Gewalt ausübt und die Beziehung trotzdem weiterhin besteht. Was kann es sein, das die Betroffenen trotz allem Leid bei ihren gewalttätigen Partnern hält? Und welche langfristigen Konsequenzen hat das?

Grundlegende Fakten

  • Gewalt kann prinzipiell in jeder Partnerschaft vorkommen – unabhängig vom Alter, der sozialen Schicht oder sexuellen Orientierung
  • Auf die Lebenszeit gesehen sind in Deutschland rund 3,8% der Frauen und 1,3% der Männer von körperlicher und sexueller partnerschaftlicher Gewalt betroffen
  • Die Zahlen der allgemeinen Gewalterfahrungen liegen jedoch noch deutlich höher, da die psychisch ausgeübte Gewalt schwerer erfasst werden kann
  • Körperliche, sexuelle und bestimmte Formen psychischer Gewalt sind per Gesetz verboten und für die Polizei ein Grund ein Strafverfahren einzuleiten

Gewalt hat viele Gesichter

Bei dem Wort Gewalt denken wir oft zuerst an Schläge, an körperliche Übergriffe und eine Person, die die Beherrschung verliert. Doch das muss nicht immer so sein, denn Gewalt kann in einer Partnerschaft auch schon viel früher beginnen und meint im Allgemeinen erstmal aggressives Verhalten mit der Absicht eine andere Person zu verletzen oder zu kontrollieren. Folgende drei Formen der Gewalt können unterschieden werden:

1. Körperliche Gewalt

Diese Form von Gewalt ist bei den Betroffenen meistens auch körperlich sichtbar. Durch grobes Anfassen, Schubsen, Schläge, Würgen oder Angriffe mit Gegenständen entstehen blaue Flecken, Wunden, Verbrennungen oder sogar Brüche. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu inneren Verletzungen, die schlimme Langzeitschäden nach sich ziehen können.

2. Sexuelle Gewalt

Bei dieser Form der Gewalt geht der gewalttätige Partner über die Grenzen der betroffenen Person hinaus und drängt sie zu bestimmten sexuellen Handlungen, hin bis zur Vergewaltigung. Auch anzügliche Blicke oder Äußerungen können Teil von sexueller Gewalt sein und sind für Außenstehende nicht sichtbar.

3. Psychische Gewalt

Die ersten beiden Gewaltformen treten in der Regel gemeinsam mit psychischer Gewalt auf. Psychische Gewalt hingegen kann auch isoliert vorkommen und ist die Form der Gewalt, die auch am häufigsten außerhalb des häuslichen Umfeldes geschieht. Zu dieser Gewaltform zählen beispielsweise Beleidigungen, Demütigung, Einschüchterung, Verbreiten von Gerüchten, Ignorieren, Unterdrückung, Kontrollieren, Drohen, Erpressen oder das Untersagen von anderweitigen Kontakten. Das tückische ist, dass diese Form der Gewalt keine sichtbaren Spuren hinterlässt und aus diesem Grund gerade von den Opfern oft zunächst nicht als Gewalt angesehen wird. Im Rahmen von psychischer Gewalt hat sich der Begriff des sogenannten Gaslightings eingebürgert, der emotionale Manipulation und Verunsicherung umfasst.

Wie entsteht Gewalt in der Partnerschaft?

Eine Beziehung beginnt in der Regel mit großer Verliebtheit. Gewalt ist am Anfang meistens noch kein Thema und eher ein schleichender Prozess, was es gerade für Betroffene so schwierig macht sie wahrzunehmen. Zu Beginn ist der gewalttätige Partner in einer Beziehung hin und wieder mal aggressiv, jähzornig oder eifersüchtig. Gerade nach dem ersten gewalttätigen Übergriff sind sowohl der Täter als auch der betroffene Partner meistens erstmal erschrocken über die Tat. Es wird sich glaubhaft entschuldigt für das schreckliche Verhalten und versprochen, es käme nie wieder vor. Jedoch werden im Laufe der Zeit die zeitlichen Abstände zwischen den Gewaltakten immer kleiner und auch die Härte der Gewalt nimmt immer weiter zu.

Im Kern basiert Gewalt auf einem Machtgefälle und Abhängigkeit zwischen den Partnern. Schwierige Lebensumstände wie Suchterkrankungen, Geldschulden oder auch Veränderungen durch einen Arbeitsplatzverlust oder die Geburt eines Kindes können ebenfalls begünstigend wirken.

Verheerende Konsequenzen

Die Bandbreite an Folgen von Gewalt in einer Partnerschaft ist enorm! Folgen können kurz- oder langfristig sein, körperlicher, psychischer, ökonomischer, sozialer oder materieller Natur:

  • Knochenbrüche, geschädigte innere Organe, Narben, Geschlechtskrankheiten, Unfruchtbarkeit
  • Psychosomatische Erkrankungen wie Magengeschwüre, Migräne oder Kreislaufstörungen
  • Psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen
  • Panikattacken, Scham- und Schuldgefühle, geringes Selbstwertgefühl, Selbstverletzung, Konsum von Drogen, Suizidversuche
  • Verlust des Arbeitsplatzes durch häufiges Fehlen
  • Verlust des gesamten Besitzes durch eine Flucht vor dem gewalttätigen Partner, Verzicht auf Unterhalts- und Schadensersatzzahlungen aus Angst vor weiterer Gewalt
  • Verlust des sozialen Netzwerkes durch Abschirmung oder Angst des Umfeldes selbst zum Opfer zu werden

Weitere, ganz entscheidende, Auswirkungen hat Gewalt in der Partnerschaft auf die Kinder. Sie sind in den meisten Fällen Zeugen der Gewaltakte und häufig ebenfalls betroffen. Das sorgt nicht selten dafür, dass die Kinder traumatisiert sind und selbst destruktive Verhaltensweisen und Geschlechterrollen verinnerlichen. Darüber hinaus fühlen sie sich oft verantwortlich für die Gewalt und werden durch die Versuche einzugreifen ebenfalls verletzt. Je nach Altersklasse können durch die Traumatisierung verschiedenste psychische und physische Folgen auftreten, genau wie bei dem betroffenen Partner. Leider besteht darüber hinaus ein hohes Risiko, dass Kinder aus einem gewalttätigen Haushalt später selbst in ihrer Partnerschaft zum Opfer oder Täter werden.

Warum betroffene ihre Täter nicht verlassen

Von außen betrachtet scheint es so selbstverständlich eine solche Beziehung für jeden Preis zu beenden und umgehend Schutz zu suchen. Jedoch ist das für Betroffene oftmals nicht so einfach, da gerade bei Gewalt über einen längeren Zeitraum die Unterstützung durch ein nicht mehr vorhandenes soziales Umfeld fehlt und Betroffene den Mut verlieren. Sie ziehen sich immer weiter zurück und können sogar Wahrnehmungsstörungen und Veränderungen ihrer Werte entwickeln. Gerade das führt oft zu der Annahme von außen, dass sie nichts zu der Verbesserung der Situation beitragen wollen. Dabei tritt lediglich der Zustand bei den Betroffenen ein, der auch bei Personen in Geiselnahme zu beobachten ist: Sie passen sich ihrem Täter an, um zu überleben.

So ist auch der Punkt sehr wichtig, dass Betroffene häufig die Schuld auf sich nehmen und annehmen, dass wenn sie sich selbst verändern und ihren Partner nicht mehr so häufig provozieren alles besser wird. Ihr Selbstbewusstsein ist so niedrig, dass sie sich schämen, so furchtbar zu sein und die Beziehung nicht verlassen, weil es sonst niemand mit ihnen aushalten würde. Auch die Angst vor der Reaktion des gewalttätigen Partners wenn er verlassen wird spielt eine Rolle. Die Liste an Gründen eine gewalttätige Beziehung nicht zu beenden ist unendlich lang, folgende weitere Punkte spielen häufig noch eine Rolle:

  • Das Umfeld kennt nur den „Traumpartner“ und die betroffene Person wird nicht ernst genommen
  • Auch in der Gesellschaft kann der Grund des Verbleibes in so einer Beziehung liegen: Traditionen, Religion, Familienideale
  • Finanzielle Abhängigkeit oder ein gemeinsames Unternehmen
  • Zwischen Morddrohungen und Liebesbekundungen: Die betroffene Person liebt den Täter und hat Angst vor Trennungsschmerz
  • Kinder können auch ein Grund sein sich nicht zu trennen, da ihnen ein Aufwachsen mit beiden Elternteilen geboten werden soll und geglaubt wird sie bekämen die Gewalt nicht mit
  • Angst die Kinder zu verlieren, da dem betroffenen Partner nachgesagt werden könnte er wäre psychisch instabil
  • Genauso kann die Angst vorherrschen geoutet zu werden – beispielsweise in einer LGBTQ+ Beziehung
  • Behinderung und damit einhergehende Abhängigkeit des betroffenen Partners
  • Mangelndes Wissen über Hilfsangebote oder Auswege

Auswege und Hilfen

So ausweglos die Lage erscheint, es gibt ein wachsendes Angebot an Hilfen für Personen, die von Gewalt in einer Partnerschaft betroffen sind:

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ – rund um die Uhr unter 08000 116 016, Chat und E-Mail Beratung unter https://www.hilfetelefon.de/.

Hilfetelefon „Gewalt an Männern“ – Mo-Do 08:00-20:00 Uhr und Fr 08:00-15:00 Uhr unter 0800 123 9900, Chat und E-Mail Beratung unter https://www.maennerhilfetelefon.de/.

Weisse Ring e.V – Telefonberatung täglich von 07:00-22:00 unter 116 006, Onlineberatung unter https://weisser-ring.de/haeuslichegewalt.

Schutzeinrichtungen für Frauen – https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/frauenhaus-und-fachberatungsstellensuche

Schutzeinrichtungen für Männer – https://www.maennergewaltschutz.de/beratungsangebote/maennerschutzeinrichtungen/

Akute Hilfe – Bei unmittelbarer Gefahr sofort unter der 110 die Polizei rufen!

Darüber hinaus empfiehlt es sich das Geschehende aufzuarbeiten und sich Unterstützung im Rahmen einer Psychotherapie und/oder Selbsthilfegruppe zu suchen. Wenn sie nicht selbst betroffen sind, seien sie trotzdem aufmerksam in ihrem Umfeld, gerade bei starker Isolierung können sich Betroffene nur schwer Hilfe suchen. Je früher Betroffenen geholfen wird, desto mehr langfristige Folgen können vermieden werden!

Quellenangaben

Bell, Patricia: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Partnergewalt. Stuttgart, 2016.

Borst, Ulrike & Lanfranchi, Andrea: Liebe und Gewalt in nahen Beziehungen. Heidelberg, 2011.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642, Abruf am 16.02.2023.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94200/d0576c5a115baf675b5f75e7ab2d56b0/lebenssituation-sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland-data.pdf, Abruf am 16.02.2023.

Deutscher Ärzteverlag GmbH: https://www.aerzteblatt.de/archiv/186686/Haeusliche-Gewalt-gegen-Maenner-Unbeachtet-und-tabuisiert, Abruf am 15.02.2023.

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/partnerschaftsgewalt-2145006#:~:text=Kriminalstatistik%20zur%20Partnerschaftsgewalt&text=2021%20wurden%20demnach%20143.604%20Opfer,insgesamt%203%2C4%20Prozent%20gestiegen., Abruf am 16.02.2023.

Weisser Ring Stiftung: https://weisser-ring-stiftung.de/projekte/forschungsprojekte-und-studien/studie-gewalt-gegen-maenner-in-partnerschaften-von-der-scham-zur-hilfe, Abruf am 15.02.2023.

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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