Hypochondrische Störung – Wenn die Angst vor Krankheit krank macht

Nasse Hände, plötzliches Engegefühl in der Brust – und dazu gesellt sich bei jedem Treppensteigen noch Luftnot. Die Gedanken kreisen permanent um das Schlimmste und die Konzentration auf die Arbeit, soziale Kontakte und jegliche Verpflichtungen ist nicht mehr möglich. In panischer Angst einen Herzinfarkt zu erleiden wird umgehend ein Arzt aufgesucht. Ein EKG, großes Blutbild, abhören der Lunge – alles ist in Ordnung, gerade nochmal Glück gehabt! Ein solches Szenario wiederholt sich bei Betroffenen von einer hypochondrischen Störung, der sogenannten Krankheitsangststörung, immer und immer wieder und macht eine Teilnahme am Alltag im schlimmsten Fall unmöglich.

Wichtig: Rund ein Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an einer solchen Krankheitsangststörung, dabei sind Männer und Frauen ungefähr gleich häufig betroffen.

Krankheitsangst auf einen Blick

Wie im obigen Beispiel bereits deutlich wurde, leiden Betroffene der hypochondrischen Störung unter der Angst körperlich schwer krank zu sein. Grundsätzlich hat so ziemlich jeder schon mal Symptome gehabt, die er für potentiell Schlimmeres gehalten hat, ist dem jedoch dann, nach einer gründlichen ärztlichen Abklärung, nicht weiter nachgegangen. Menschen mit einer Krankheitsangststörung können die permanente Unsicherheit krank zu sein oder zu werden nicht gut aushalten, vor allem weil sich nicht jedes körperliche Symptom erklären lässt. Sie fürchten aus diesem Grund vor allem Erkrankungen wie Bluthochdruck, einen Herzinfarkt, Multiple Sklerose,  HIV-Infektionen oder auch Krebs, die einen langen Leidensweg und schlussendlich den Tod mit sich bringen.

Ob die Krankheitsangst nun in Schüben auftritt (gerade im weiteren Verlauf werden die angstfreien Phasen immer kürzer) oder permanent vorhanden ist – sie beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen sehr deutlich. Da Erkrankte oft wissen, dass ihre Ängste unbegründet oder übertrieben sind, empfinden sie große Scham und versuchen ihr Leid zu verstecken. Das bringt wiederum das Risiko von Einsamkeit und starker Hilflosigkeit mit sich.

Unter welchen Beschwerden leiden Betroffene?

Die Diagnose einer hypochondrischen Störung kann bei folgenden Symptomen, über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, gestellt werden:

  • Andauernde Angst körperlich schwer krank zu sein oder zu werden
  • Permanente Beobachtung des eigenen Körpers und seinen Krankheitsanzeichen
  • Interpretation der üblichen Körperreaktionen, wie Darmbewegungen, schnellem Atmen oder Herzschlag bei Anstrengung, als Anzeichen einer schweren Erkrankung
  • Häufige Arztbesuche und Aufsuchen mehrerer Ärzte, da sich Betroffene nicht ernst genommen fühlen oder die (negativen) Befunde anzweifeln
    ODER
    Konsequente Vermeidung von Arztbesuchen aufgrund der Angst vor einer Diagnose

Hypochondrie kommt selten allein

Eine Hypochondrische Störung ist selten die einzige psychische Erkrankung bei Betroffenen. Sie entwickelt sich häufig aus einem der folgenden Störungsbilder:

Gerade wenn Personen mehrere psychische Erkrankungen haben, können sich diese gegenseitig aufrechterhalten oder verschlechtern. Es ist aus diesem Grund sehr wichtig den Ursachen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, aus welchem Mangel oder welcher Angst heraus sich die Störungsbilder entwickeln konnten um sie anschließend erfolgreich zu behandeln.

Die Ursachen liegen meistens in der Kindheit…

Eine hypochondrische Störung hat ihren Ursprung meistens in einem unzureichenden Umgang mit körperlichen Beschwerden in der Kindheit. Es gab oft Erlebnisse, die einen guten Umgang mit ihnen unmöglich gemacht haben, wie:

Ängstliche Bezugspersonen: Körperliche Beschwerden des Kindes wurden immer mit großer Sorge betrachtet und dramatisiert. Dadurch lernen Kinder schon früh, dass vermeintlich harmlose Symptome schlimmes bedeuten können.

Schwer erkrankte Person im Umfeld: Wenn eine nahestehende Person des Kindes erkrankt ist, ist dies unvermeidlich ein großes sorgenvolles Thema in der Familie. Schon früh erfährt das Kind wie lebensbedrohlich Krankheiten sein können und für wie viel Hilflosigkeit und Trauer sie sorgen können.

Betroffener ist in der Kindheit selbst schwer krank gewesen: Alle damit verbundenen Emotionen können sich tief manifestieren. Vielleicht musste sogar eine längere Trennung von Zuhause durch einen Krankenhausaufenthalt ausgehalten werden oder das Kind musste bereits über einen längeren Zeitraum starke Schmerzen und Nebenwirkungen von Medikamenten aushalten.

Sexueller Missbrauch: Es gibt eine hohe Korrelation von Krankheitsangststörungen und Missbräuchen in der Kindheit. Als Antwort auf derartige Übergriffe können Kinder eine andere Wahrnehmung ihres Körpers erlangen und künftige Vorgänge in ihm sensibler wahrnehmen.

All diese Faktoren führen Betroffene zu dem Trugschluss, dass Gesundheit ein Zustand ist, der komplette Beschwerdefreiheit impliziert. Auch können die Erlebnisse der Kindheit als erwachsene Person wieder durch stressige Phasen wie anhaltende Konflikte, Todesfälle, Schwangerschaft oder Jobverlust hochkommen und folgend eine hypochondrische Störung auslösen. Probleme im Umgang mit herausfordernden Situationen sind demnach, neben gewissen genetischen Determinanten, der größte Risikofaktor.

Psychotherapie als Ausweg

Bei der Behandlung der Krankheitsangststörung hat sich in erster Linie die kognitive Verhaltenstherapie bewährt.
Im Rahmen der Psychotherapie soll eine gute Beziehung zwischen Patient und Therapeut aufgebaut werden, in der es die Möglichkeit gibt offen über Symptome und Ängste zu sprechen. Der Therapeut nimmt den Patienten ernst, ohne dass er mit der Bewertung seiner Symptome einhergehen muss. Ziel ist es, dass der Patient seine körperlichen Beschwerden anders bewerten, alle damit verbundenen Gedanken loslassen und zwanghaftes Überprüfen des eigenen Körpers reduzieren kann. Dafür kommen Techniken zur Stressreduktion und auch Entspannungsverfahren wie Yoga oder Meditation zum Einsatz. Mithilfe dieser Verfahren soll wieder mehr Selbstwirksamkeit erlebt werden und Vertrauen zum eigen Körper aufgebaut werden. Auch kann es sehr sinnvoll sein Angehörige eines Betroffenen in die Therapie einzubeziehen. Denn auch diese wissen oft nicht wie sie mit der erkrankten Person umgehen sollen und können durch übertriebene Fürsorge und Schonung zur Aufrechterhaltung der Krankheit beitragen.

Natürlich kann es auch nach einer Psychotherapie zu Rückfällen kommen, gerade wenn der Körper neue bisher unbekannte Symptome zeigt oder neue Krankheiten, wie das Coronavirus, bekannt werden. Genau für diese Fälle sollen in der Psychotherapie Strategien besprochen werden und auch die Option aufgezeigt werden, eine Behandlung wieder aufzunehmen. Generell gilt: Umso früher eine Störung behandelt wird, umso besser sind die Chancen auf eine vollständige Heilung und eine gleichzeitige Reduktion der komorbiden Störungen.

Was sie akut in der Wartezeit auf einen Therapieplatz tun können

In der derzeitigen Versorgungssituation in Deutschland kommt es, je nach Wohnort, schnell zu einer Wartezeit von sechs bis zwölf Monaten. Damit die Symptomatik sich in diesem Zeitraum nicht noch weiter verschlechtern kann, können Sie folgende Maßnahmen in Eigeninitiative umsetzen:

  • Versuchen Sie eine gute Balance in ihrem Alltag mit leichter Aktivität (z.B. Spazieren gehen oder Yoga) und Entspannungstechniken (z.B. Meditation oder progressive Muskelentspannung) zu schaffen.
  • Pflegen Sie soziale Kontakte, denen Sie sich anvertrauen können und sprechen Sie auch über Beschwerden, die nichts mit ihren rein körperlichen Symptomen zu tun haben. Da diese meistens ursächlich für Ihre Erkrankung sind, kann ein Gespräch über sie die Gesamtsituation verbessern.
  • Sorgen Sie dafür, dass Sie nicht überfordert sind mit Ihren alltäglichen Aufgaben und überlegen Sie, wo sie kurzfristig Stressoren eliminieren können.
  • Vielleicht hilft Ihnen auch der Austausch mit Gleichgesinnten, gerade wenn diese schon weiter im Heilungsprozess sind.
  • Zum Abschluss: Nutzen Sie nur seriöse Quellen bei der Recherche nach Symptomen!
Quellenangaben

Margraf, Jürgen & Schneider, Silvia: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Berlin, 2018.

Voderholzer, Ulrich & Hohagen, Fritz: Therapie psychischer Erkrankungen. München, 2019.

Wirtz, Markus Antonius: Lexikon der Psychologie. Bern, 2022.

Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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