Außer Kontrolle: Die Hintergründe von Alkohol- und Drogensucht verstehen

Laut dem aktuellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung gelten etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland als alkoholabhängig und rund 1,3 Millionen Menschen konsumieren regelmäßig illegale Drogen. Obwohl es sich um ein weit verbreitetes Problem in unserer Gesellschaft handelt, wird viel zu selten über die Ursachen und Folgen von Substanzmissbrauch gesprochen.

Welche Substanzen machen süchtig?

Eine Alkohol- und Drogensucht kann verschiedene Substanzen umfassen. Im Allgemeinen können alle psychoaktiven Substanzen, einschließlich verschreibungspflichtiger Medikamente, illegaler Drogen und Alkohol, zu einer Sucht führen.

Zu den am häufigsten missbrauchten illegalen Drogen gehören:

  • Cannabis
  • Kokain
  • Heroin
  • Amphetamine
  • Methamphetamine
  • Ecstasy (MDMA)
  • Halluzinogene (z. B. LSD, Psilocybin)

Verschreibungspflichtige Medikamente, die missbraucht werden können, sind:

  • Beruhigungsmittel (z. B. Benzodiazepine)
  • Schmerzmittel (z. B. Opioide)
  • Stimulanzien (z. B. Methylphenidat)

Diagnose Alkohol- und/oder Drogensucht

Nun führt nicht jeder einmalige oder gelegentliche Konsum direkt zu einer Sucht…Doch ab wann wird von einer Sucht gesprochen? Die Kriterien für eine Alkohol- oder Drogensucht sind ähnlich und basieren auf den Symptomen der Abhängigkeit. Hier sind einige der wichtigsten Merkmale:

  1. Toleranzentwicklung: Eine höhere Dosis des Suchtmittels ist nötig, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
  2. Entzugssymptome: Wenn der Konsum des Suchtmittels gestoppt wird, treten körperliche und/oder psychische Entzugssymptome auf.
  3. Verlust der Kontrolle: Der Betroffene hat Schwierigkeiten, seinen Konsum zu kontrollieren und konsumiert häufig mehr, als er ursprünglich geplant hatte.
  4. Vernachlässigung anderer Bereiche des Lebens: Der Konsum des Suchtmittels nimmt immer mehr Raum im Leben ein, wodurch andere wichtige Bereiche, wie Familie, Arbeit oder soziale Kontakte, vernachlässigt werden.
  5. Fortsetzung des Konsums trotz negativer Konsequenzen: Trotz negativer Konsequenzen wie Konflikte mit anderen, finanzielle Probleme oder Gesundheitsprobleme wird der Konsum des Suchtmittels fortgesetzt.

Es ist wichtig zu betonen, dass nicht alle diese Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer Sucht zu sprechen. Einige Symptome können bei einigen Menschen stärker ausgeprägt sein als bei anderen.

Psychisch krank durch den Konsum oder Konsum durch andere psychische Erkrankungen?

Der Missbrauch von Alkohol und Drogen schadet nicht nur der rein physischen Gesundheit, sondern kann auch zu weiteren psychischen Erkrankungen führen ODER auch durch diese erst begünstigt werden. Der Teufelskreis kann also in beide Richtungen entstehen! Hier sind einige Beispiele:

Depression: Einerseits können Alkohol und Drogen vorübergehend die Symptome der Depression lindern, andererseits aber auch zu Konflikten in Beziehungen, finanziellen Problemen und Schwierigkeiten bei der Arbeit oder in der Schule führen, was wiederum zu Depressionen führen kann. Zudem beeinflussen Alkohol und Drogen das Gehirn durch die Freisetzung von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin, die für die Stimmung und Emotionen verantwortlich sind.

Angststörung: Angststörungen können ebenfalls den Alkohol- und Drogenkonsum begünstigen, da die bereits genannten Substanzen, genau wie bei der Depression, die Symptome durch die Entspannung des Nervensystems kurzfristig vermindern können. Alkohol und Drogen können jedoch auch Angststörungen auf verschiedene Weise verursachen oder verschlimmern – Einer der Gründe ist, dass sie das zentrale Nervensystem beeinflussen und die Freisetzung von Neurotransmittern wie Serotonin und GABA im Gehirn verändern können. Diese Neurotransmitter sind wichtig für die Regulierung der Stimmung und der Emotionen. Wenn ihre Freisetzung beeinträchtigt wird, kann dies zu Angstzuständen führen. Darüber hinaus können Alkohol und Drogen auch das limbische System beeinflussen, das ebenfalls für die Verarbeitung von Emotionen und die Entstehung von Angstzuständen verantwortlich ist.

Psychose: Der Missbrauch von Substanzen wie Cannabis, Kokain oder Amphetaminen kann Psychosen auslösen. Beim Konsum werden bestimmte Hirnbotenstoffe, wie Dopamin, beeinflusst, die folgend das Risiko für psychotische Symptome wie Halluzinationen oder Wahn erhöhen. Andersherum können Betroffene auch bei der Störung versuchen sich mit den Konsummitteln zu betäuben um ihre Symptome nicht mehr spüren zu müssen.

Wie entsteht eine Abhängigkeit?

Die Ursachen von Alkohol- und Drogensucht sind komplex und vielfältig. Es gibt Personen, die eine Substanz einmal konsumieren und abhängig werden und dann gibt es Personen, die immer und immer wieder konsumieren und trotzdem keine Kriterien der Abhängigkeit aufweisen. Dieses Phänomen ist mit den verschiedenen Rahmenbedingungen zu erklären, die das Risiko erhöhen eine Suchterkrankung zu entwickeln:

  • Genetische Veranlagung: Es gibt Hinweise darauf, dass eine genetische Veranlagung für Suchterkrankungen existiert. Wenn also Familienmitglieder bereits von Alkohol- oder Drogensucht betroffen sind, steigt das Risiko für andere Familienmitglieder, ebenfalls eine Suchterkrankung zu entwickeln.
  • Psychische Probleme: Menschen mit psychischen Problemen wie Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen sind anfälliger für Suchterkrankungen. Der Konsum von Alkohol oder Drogen kann vorübergehend Erleichterung verschaffen, was zu einer Abhängigkeit führen kann.
  • Umweltfaktoren: Der soziale Kontext, in dem eine Person aufwächst, kann das Risiko für Suchterkrankungen erhöhen. Dazu gehören beispielsweise der Konsum von Alkohol oder Drogen im Elternhaus, der Freundeskreis oder der berufliche Kontext.

Und wie wird behandelt?

Die Behandlung von einer Alkohol- und Drogensucht erfordert in der Regel professionelle Unterstützung. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die je nach Schweregrad der Suchterkrankung eingesetzt werden können.

In vielen Fällen ist zunächst eine Entgiftung notwendig, um den Körper von den schädlichen Substanzen zu reinigen. Die Entgiftung sollte unbedingt unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, da es zu schweren Entzugserscheinungen kommen kann. Dabei können auch Medikamente eingesetzt werden, um die Symptome der Suchterkrankung zu lindern oder den Entzug zu erleichtern. Begleitend kann darüber hinaus eine Psychotherapie helfen die zugrundeliegenden Ursachen der Suchterkrankung zu bearbeiten und neue Bewältigungsstrategien zu erlernen. Als besonders effektiv hat sich bei Süchten das Verfahren der Verhaltenstherapie gezeigt. Abschließend sind Selbsthilfegruppen wie die Alkoholiker Anonymous (AA) oder Narcotics Anonymous (NA) für viele (ehemalige) Betroffene eine gute Anlaufstelle um den Kontakt zu anderen Betroffenen aufzubauen und Unterstützung zu erfahren.

Quellenangaben
  • American Psychatric Association: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. Göttingen, 2015.
  • Barth, Volker: Sucht und Komorbidität. Landsberg am Lech, 2016.
  • Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen: https://www.bundesdrogenbeauftragter.de/assets/user_upload/PDF-Publikationen/DSB_2021_final_bf.pdf, Abruf am 27.04.2023.
  • Seydel, Ute: Komorbidität Sucht und Psychose. Hamburg, 2009.
  • Wendt, Kai: Suchthilfe & Suchttherapie. Stuttgart, 2017.

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Vanessa Graßnickel
Chefärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Vanessa Graßnickel
Dr. med. Vanessa Graßnickel ist eine anerkannte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberärztin übernahm sie 2024 die Position als Chefärztin der LIMES Schlossklinik Fürstenhof in Bad Brückenau. Dr. Graßnickel spezialisiert sich auf verhaltenstherapeutisch basierte Behandlungen und Suchtmedizin, fundiert durch ihr Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und einer umfangreichen fachärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Bochum. In ihrer Rolle als Chefärztin verbindet Dr. Graßnickel modernste diagnostische und therapeutische Methoden mit einer empathischen, respektvollen Patientenbetreuung sowie maßgeschneiderten Therapieplänen.

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